Dosisberechnung

Kontakt: Gabriele Mraz

Durch Anwendung eines Dosismodells wurden aus den Ergebnissen der Ausbreitungsrechnung Strahlendosen abgeleitet und diese in Beziehung zu Grenz- und Richtwerten gesetzt.

Auswahl der Radionuklide

Unfallbedingte Freisetzungen aus Nuklearanlagen enthalten viele Radionuklide, aber nicht alle tragen gleichermaßen zur Dosis bei, die die Bevölkerung erhält. Um eine erste Abschätzung zu treffen, welche Radionuklide von Interesse sind, wurden Testläufe mit dem Programm PC Cosyma 2.01 durchgeführt. Diesen Tests wurden zwei verschiedene Freisetzungsszenarien aus dem US EPR Final Safety Report (Areva 2009) und die Reaktorinventare aus SSK (2003) zu Grunde gelegt. Die Auswertung der Testläufe erfolgte im Hinblick auf die relativen Beiträge der wichtigsten Radionuklide zu 7-Tage-Organdosen, und in einem Fall auch zu 1-Jahres-Dosen, jeweils für 28 und 155 km Entfernung vom Freisetzungspunkt.

In diesen Tests trugen die folgenden 20 Radionuklide 98% zur Dosis bei und wurden daher für die flexRISK Berechnungen ausgewählt: Cs-134, Cs-136, Cs-137, I-131, I-132, I-133, I-135, Kr-87, Kr-88, Rb-88, Ru-103, Ru-105, Ru-106, Sr-89, Sr-90, Sr-91, Te-131m, Te-132, Xe-133, Xe-135. Weiters wurden einige Zerfallsketten berücksichtigt, daher wurden auch die Beiträge der folgenden Tochternuklide aufgenommen: Y-91, Y-91m, Rh-105, Te-131, Xe-133m, Xe-135m.

Dosis Definitionen

Die Energiedosis ist das Maß für die von einem Körper aufgenommene (absorbierte) Energie. Einheit: Gray (Gy).

Die Äquivalentdosis ist die Energiedosis multipliziert mit einem Strahlenwichtungsfaktor, um die unterschiedlichen biologischen Wirkungen der verschiedenen Strahlungsarten zu berücksichtigen. Einheit: Sievert (Sv).

Die Effektivdosis ist die Summe aller Äquivalentdosen der einzelnen Organe, die jeweils mit einem Gewebewichtungsfaktor multipliziert wurden. Dieser Gewebewichtungsfaktor beschreibt den Anteil, den die jeweilige Organ-Äquivalentdosis an der gesamten Effektivdosis hat – die Summe aller Gewebewichtungsfaktoren ist 1. Einheit: Sievert (Sv).

Die Folgedosis beinhaltet alle Dosisbeiträge, die durch die Aufnahme einer bestimmten Menge an Radioaktivität erhalten werden, und zwar bis zu einem Alter von 70 Jahren.

Belastungspfade und Koeffizienten

In der Dosisrechnung berücksichtigte Belastungspfade sind die Bodenstrahlung, die Wolkenstrahlung (Submersion) und die Inhalation, jeweils für verschiedene Kontaminationszeiträume, Nuklide und Organe in Abhängigkeit von den jeweiligen Endpunkten. Der Pfad der Resuspension wurde nicht berücksichtigt, da sich anhand der Testläufe gezeigt hat, dass die daraus resultierende Dosis im Verhältnis zu den anderen Dosen sehr niedrig war.

Der Pfad über die Ernährung (Ingestionspfad) wurde nicht berücksichtigt, da die dafür nötige Modellierung den Rahmen des Projekts sprengen würde.

Für die Berechnung der Dosen aus Deposition und Luftkonzentration wurden Dosiskoeffizienten verwendet. Für interne Strahlung wurden die Koeffizienten von ICRP (1996) und für externe Strahlung diejenigen von Eckerman und Legett (1996) und Health Canada (1999) herangezogen. Da Strahlung unterschiedliche Effekte auf Kinder und Erwachsene hat, wurden Dosen für Kleinkinder (0-1 Jahre) und Erwachsene getrennt berechnet.

Dosisreduzierende Faktoren

Dosen können durch Abschirmung reduziert werden. Menschen halten sich großteils im Innenraum auf (eine Aufenthaltszeit von 80% wurde für flexRISK angenommen). Für Langzeitdosen werden so genannte location factors verwendet um die resultierende Dosisreduzierung zu beschreiben. Die location factors von Müller et al. (2003) wurden für flexRISK verwendet, sie sind abhängig von der Bevölkerungsdichte unter der Annahme, dass in Gebieten mit höherer Bevölkerungsdichte bessere Abschirmung durch Bauten vorhanden ist. Bevölkerungsdaten von CIESIN (1995) wurden in einem Raster mit Zellgröße von etwa 1 km2 verwendet um die durchschnittliche Dosisreduktion für jede Netzzelle berechnen zu können. Für Kurzzeitdosen (7 d und 30 d) wurde der location factor 1 gesetzt.

Radionuklide migrieren mit der Zeit tiefer in den Boden, dadurch entsteht ein zusätzlicher Reduktionsfaktor für die Bodenstrahlung. Diese Bodenstrahlungskorrekturfaktoren liegen in etwa in einem Bereich von 0,5-0,8 für die 1 Jahres- und Lebenszeitdosen. Für Kurzzeitdosen wurde kein solcher Faktor etabliert.

Grenzwerte und Richtwerte

Als Kriterium für die Betroffenheit eines Landes bzw. einer Bevölkerungsgruppe können solche Dosiswerte verwenden werden, die mit ausgewählten vorgeschriebenen Interventionsmaßnahmen in Bezug gesetzt werden können. Für Österreich sind dies primär die Dosisrichtwerte laut Interventionsverordnung (IntV 2007). Mehr Informationen zu Interventionsmaßnahmen

Des Weiteren wurden die berechneten Effektivdosen mit dem derzeit gültigen Grenzwert laut Richtlinie 96/29 Euratom für Mitglieder der Bevölkerung verglichen. Dieser Grenzwert beträgt 1 mSv/Jahr aus künstlichen Strahlenquellen. Ein höherer Grenzwert kann für ein Jahr zugelassen werden, falls der Durchschnitt über fünf aufeinanderfolgende Jahre nicht höher als 1 mSv/Jahr liegt.

Dieser Dosisgrenzwert wird nicht unter allen Umständen angewandt. Laut Art. 48 der Richtlinie können Mitgliedsstaaten im Falle einer radiologischen Intervention eigene Interventions-Richtwerte etablieren (siehe im Detail weiter unten). Diese Situation wäre vor allem für die erste Zeit nach einem schweren Unfall anzunehmen. Die Internationale Strahlenschutzkommission ICRP empfahl als Richtwert nach dem Unfall in Fukushima (ICRP (2011) eine jährliche Dosis von 20-100 mSv für die Bevölkerung, mit der Zielrichtung einer schnellen Dosisreduktion zurück auf 1 mSv/Jahr.

Aufgrund des nicht berechneten Ingestionspfades werden die in flexRISK berechneten Dosen im Falle eines schweren Unfalls jedoch erheblich unterschätzt, auch wenn sie andererseits konservativ sind. In Österreich erhielten Babys, vor allem solche die mit normaler Milch gefüttert wurden, mehr als die Hälfte ihrer Gesamtdosis im ersten Jahr aus Ingestion (58%), Erwachsene sogar noch mehr (75%).

Die Dosisergebnisse werden als Wahrscheinlichkeit ausgedrückt, die folgenden Grenz- und Richtwerte zu überschreiten:

Endpunkte der Dosisberechnung Erwachsene in mSv Kinder (bis 18a) in mSv Dosisart Pfade Kontaminations-zeitraum Integrations-zeitraum für die Dosisberechnung
Verbleib im Innenraum 10 1 Effektivdosis Inhalation, Bodenstrahlung, Wolkenstrahlung 7d* Inhalation: Lebenszeit, Boden- und Wolkenstrahlung: 7d
Iodprophylaxe 100 10 Schilddrüsendosis Inhalation 7d* Lebenszeit
Zeitweise Umsiedlung 30 30 Effektivdosis Bodenstrahlung 30d 30d
Dosisgrenzwert für Mitglieder der Bevölkerung pro Jahr 1 1 Effektivdosis Inhalation, Bodenstrahlung, Wolkenstrahlung 1a Inhalation: Lebenszeit, Boden- und Wolkenstrahlung: 7d

* Die 7 d-Dosis und 30 d-Dosis wude für zwei Perioden berechnet: Einmal für die sieben (30) Tage ab dem Eintreffen der ersten Kontamination größer Null, und dann in drei Stunden-Intervallen bis zum Ende der Ausbreitungsrechnung. Von diesen Werten wurde derjenige mit der höchsten Dosis für die Ergebnispräsentation herangezogen, dieser Wert entspricht nicht immer dem ersten Zeitintervall.

Ein Vergleich mit den früher gültigen österreichischen Rahmenempfehlungen (Rahmenempfehlungen 1992) wird durch die Wahrscheinlichkeit des Überschreitens der Effektivdosis von 2,5, 25 und 250 mSv im ersten Jahr durchgeführt.

Außerdem wird die Wahrscheinlichkeit der Überschreitung von Schwellwerten der Bodenkontamination mit Cs-137 berücksichtigt. Diese Schwellen wurden nach Tschernobyl in der damaligen Sowjetunion eingeführt um kontaminierte Gebiete zu definieren.

Schwellwerte der Deposition in durch Tschernobyl kontaminierten Gebieten (National Report Belarus 2006):

 

Zone Effektivdosis in mSv/a Cs-137 in kBq/m2 Sr-90 in kBq/m2 Pu-238, Pu-239, Pu-240 in kBq/m2
Zone mit regelmäßiger Strahlenüberwachung <1 37-185 5,55-18,5 0,37-0,74
Zone mit Recht auf Umsiedelung 1-5 185-555 18,5-74 0,74-1,85
Zone mit nachfolgenden Umsiedelungen >5 555-1.480 74-111 1,85-3,7
Zone mit sofortiger Umsiedelung >5 >1.480 >111 >3,7
Sperrzone mit Evakuierung Zone rund um das KKW Tschernobyl, aus der 1986 evakuiert wurde      

Durch das Berechnen des Überschreitens der Schwelle von 185 kBq Cs-137/m2 können die Ergebnisse mit dem Vorläuferprojekt RISKMAP verglichen werden. Dieser Schwellwert entspricht einer möglichen Überschreitung des jährlichen Grenzwerts von 1 mSv für die Bevölkerung

Ergebnisse der Dosisrechnung

Ergebnisse der Dosisrechnung werden als umfangreiche Karten und Box-Plots anhand der im Projekt definierten Endpunkte präsentiert. Die Ergebnisse wurden mit flexiblen Programmen und Scripts (unter Verwendung von Fortran, python und bash) erstellt. Dies soll eine automatisierte Berechnung und Abbildungen für verschiedene auswählbare Kriterien basierend auf Ausbreitung und Dosisrechnunge ermöglichen, zum Beispiel länderbasierte Screenings der Ergebnisse. Mehr Informationen zu den Ergebnissen der Dosisrechnung

Zukünftige Möglichkeiten für flexRISK

Milchbelastung

Milch, die mit radioaktivem Iod kontaminiert ist, kann erheblich zur Schilddrüsendosis beitragen. Aus den Ergebnissen der Deposition mit dem Leitnuklid Iod-131 wird die Belastung lokal produzierter Milch mit Hilfe von Transferfaktoren abgeschätzt. Durch die Annahme eines maximalen Milchkonsums in einem bestimmten Zeitraum kann die daraus resultierende Ingestionsdosis abgeleitet werden. Die Milchbelastung kann mit den in der Europäischen Union gültigen Höchstwerten für Lebensmittel nach einem Nuklearunfall und mit den gültigen Höchstwerten für Lebensmittel, die durch Tschernobyl kontaminiert wurden, verglichen werden. Mehr Informationen zu Höchstwerten in Lebensmitteln

Kollektivdosis und gesundheitliche Konsequenzen

Da die Daten zur Bevölkerungsdichte bereits verfügbar sind, wird die Berechnung der Kollektivdosis für die ausgewählten Pfade ermöglicht, ebenso wie die Abschätzung gesundheitlicher Auswirkungen. Dafür müssen jedoch noch Anpassungen in den Grundlagen der Dosisberechnung vorgenommen werden.